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Interview | Architektin Christine Remensperger über Räume zum Entdecken

Christine Remensperger ist Architektin und Professorin für Entwerfen und Baukonstruktion an der FH Dortmund. Im Interview berichtet sie, worauf es beim Bau von Kitas und Schulen ankommt, wie man Räume zum Entdecken schafft und warum leise, unaufgeregte Gebäude etwas zu erzählen haben.

Architektin Christine Remensperger vermittelt ihren Studierenden Verantwortung für die Profession.

Was ist das Wichtigste, was Sie Ihren Studierenden für deren Entwürfe mitgeben wollen?

CR: Eine Haltung zu vermitteln, die man selbst auch lebt, sehe ich als das Fundament für die jungen Menschen in der Ausbildung. Dazu gehört es auch, klarzumachen, wie verantwortungsvoll so ein Beruf ist. Architektur ist kein Bereich, den man eliminieren kann. Die gebaute Umwelt ist ähnlich systemrelevant wie die Medizin. Wir leben heute mit vielen Fehlern der 60er- und 70er-Jahre und beschäftigen uns damit, wie wir damit umgehen.

Der zweite Aspekt ist für mich, Zeitlosigkeit als Nachhaltigkeitsindex zu betrachten. Bauhaus ist immer noch aktuell und immer noch gern besucht. Statt modischen Strömungen hinterherzurennen, sollten für jeden einzelnen Ort und jede Aufgabe die angemessenen Mittel gefunden werden, die sich aus dem Ort, dem kulturellen Kontext und den dortigen Ressourcen entwickeln. Wir haben ein bisschen verlernt, identitätsstiftend zu bauen. Die Architektur hat dann nichts mehr mit dem Ort zu tun und ist austauschbar. Mich stört, dass heute vermehrt sinnentleerte Hüllen entstehen, die aufgesetzt und aufgeregt wirken und eigentlich weltweit austauschbar sind. Hiervon sollten wir Abstand nehmen.

Worauf kommt es beim Bau einer Kita oder einer Schule an?  Welche Rolle spielen Materialien, Farben und Formen?

CR: Ein schwedisches Sprichwort besagt: „Für eine gute Schule braucht es drei Dinge: gute Lehrer, gute Schüler, gute Räume.“ Das wird häufig missverstanden als: „Wir sollen eine kindliche Welt bauen.“ Beim Bauen für Kinder geht es aber vielmehr darum, spannende und neutrale Räume zu schaffen, die von den Kindern entdeckt werden können. Dazu müssen sie vielfältige Raumerfahrungen bieten, wie hoch und nieder, klein und groß, weit und eng oder unterschiedliche Lichteinfälle. Farbe, Form und Material sind vorzugsweise reduziert, denn dies bringen die Kinder selbst schon mit.

Deswegen habe ich beim Bau der Kita die Dachräume so gestaltet, dass sich die Kinder dort austoben können. Auch das Treppenhaus wird mitbespielt. Die Farbe Rot – wie die der Dachziegel – war schnell gesetzt. Der Rest ist weiß, Holz oder Beton. So entstehen Räume, die sich die Kinder erobern können und gleichzeitig eine heimelige Atmosphäre ähnlich einem Wohnzimmer bieten.

Das Kita-Gebäude steht auch im Kontext der vielen verputzten Häuser in der Umgebung: einschalig, einfach, monolithisch. Es hat eine ähnliche Haltung wie das kleine Haus. Es ist klassisch gebaut – wie das „Haus vom Nikolaus“. Es gibt Studien, die zeigen, dass Kinder auf der ganzen Welt immer die klassische Hausform inklusive Kamin und Wolke malen, wenn sie ein Haus zeichnen sollen.

Das Haus am Rotenberg war Remenspergers erster Ziegelbau. Wie die Kita präsentiert sich auch dieses Gebäude mit einer hellen, klaren und einfachen Konzeption, natürlichen Materialien sowie feinen Details.

Sie lehren die analytische Betrachtung von Gebäuden. Von welchem Gebäude haben Sie selbst am meisten gelernt?

CR: Mein Chef, Klaus Mahler, hat immer gesagt: „Wenn Sie zwei Gebäude nebeneinander betrachten, dann ist meistens das unaufgeregtere das bessere.“ Von ihm habe ich viel gelernt. Es sind nicht die lauten, sondern die leisen Gebäude, die uns etwas erzählen. Und es sind die wirklich authentischen Materialien, die Menschen berühren. Kunststoffoberflächen können das nicht – da sie nicht altern können. Deswegen sind es die archaischen, einfachen Häuser, von denen man am meisten lernen kann.  Auf einer Wanderung in Tessin habe ich Häuser gesehen, die wie Findlinge aus dem Berg wachsen. Die sind so selbstverständlich. Sie erklären sich von selbst.

Als ich privat in Rom war, hat mich das Pantheon fasziniert. Alle Themen, die wir heute diskutieren, sind damals vor 2500 Jahren schon vorhanden gewesen: von der Materialität über die faszinierende Konstruktion ins Detail bis hin zur Proportion und Ästhetik mit einer atemberaubenden räumlichen Atmosphäre. Sogar die Wiederverwendung von Material findet man: Es wurde zusammengeflickt aus Abbruchziegeln, altes Material wurde eingeschmolzen und daraus neue Türen gegossen. Kreislaufdenken gibt es schon lange, wir haben es nur verlernt, dadurch dass wir im Überfluss leben.