Interview | Wanderausstellung des Deutschen Ziegelpreises
26.10.2021 | Ziegel ist ein Baustoff mit großer Zukunft. Das zeigen 66 eindrucksvolle Architekturprojekte, die aus den fast 150 Einreichungen zum Deutschen Ziegelpreis 2021 ausgewählt worden sind.

Mit der Wanderausstellung des Deutschen Ziegelpreises kamen sie auch nach Münster. Von Dienstag, 26. Oktober, bis Sonntag, 7. November 2021, machte die Wanderausstellung Halt an der MSA Münster School of Architecture. Eines von sechs Gastspielen an Hochschulen und Universitäten in ganz Deutschland.
Wir haben die Veranstalter, Professor Martin Weischer, Dekan der Münster School of Architecture, und Anna Vogt, studentische Prodekanin, getroffen. Ein Gespräch über den Baustoff Ziegel und die Schwerpunkte der Ausstellung.
Herr Weischer, wie groß ist Ihre Liebe zum Ziegel? Woher rührt sie?
Martin Weischer: Der Ziegel ist in der Tradition das westfälische Baumaterial. Ich bin hier groß geworden und habe sehr viel in meinem Leben mit Ziegeln zu tun gehabt. Die Affinität zum Ziegel ist daher groß. Der Schule entsprechend ist es auch ein Thema, das uns an hier an der Münster School of Architecture immer beschäftigt.
Ich bin Häuslebauer und stehe vor der Wahl: Warum sollte ich mit Ziegeln bauen?
Martin Weischer: Es ist ein sehr nachhaltiger, traditioneller Baustoff und einer, der sich in den letzten Jahren stark dem ökologischen Thema hingewandt hat. Insofern passt das sehr gut auch in unsere Strategie und Überlegung, wie wir Nachhaltigkeit in allen Bereichen der Architekturausbildung unterbringen können. Es ist ein Thema, das bei uns nicht als Lehrstuhl oder Lehrgebiet dargestellt wird, sondern was als Querschnittsthema durch alle Bereiche geht.
Anna Vogt: Was mich am Ziegel sehr reizt, ist, dass er so haptisch ist. Er altert total schön und hat einen langlebigen Charakter. Es ist außerdem ein sehr komplexes Material in der Herstellung und Verarbeitung. Man hat multiple Arten und Weisen, diesen Ziegel zu nutzen – monolithisch, mit Dämmung oder entlüftet. Auch die Verbände sind spannend, weil sie sich dem jeweiligen Entwurf anpassen.
Martin Weischer: Und der Ziegel ist nicht nur als Verblender, als Fassade zu sehen, sondern man kann ihn auch in der Konstruktion verwenden. Er hat gute Dämmeigenschaften, insbesondere sehr gute raumklimatische Eigenschaften.
Der Deutsche Ziegelpreis zeichnet konzeptionell, konstruktiv und gestalterisch überzeugende Bauwerke aus. 2021 lag einer der Schwerpunkte auf dem kreativen Umgang mit monolithischen Konstruktionen aus hochwärmedämmenden Ziegeln. Inwieweit bieten sie die Grundlage für eine zukunftsweisende Architektur?
Anna Vogt: Dabei handelt es sich um eine sehr homogene Bauweise. Und gerade die Trennung der Materialien, die ja auch immer wichtiger wird für eine Weiternutzung, für eine gewisse Flexibilität, ist sehr spannend. Man hat ein Material und nicht eben drei, auf die man sich konzentrieren muss.
Martin Weischer: Und die monolithische Bauweise, die sich immer mehr in den Fokus drängt, hat genau diesen Vorteil, auf den wir in Zukunft viel mehr achten müssen: Nicht nur, wie wir ein Gebäude zusammensetzen, sondern auch, wie wir es hinterher wieder auseinandernehmen, ohne dass wir unendlich viel Sondermüll produzieren. Das hat zum einen sehr große Vorteile. Zum anderen kommen wir – und das ist auch ein Credo, das wir versuchen zu pflegen – mit sehr viel Lowtech aus. Wir brauchen nicht so viel Hightech, um Raumklima herzustellen, weil die Speicherfähigkeit des Ziegels einfach ausgenutzt wird. Also das, was seit Hunderten von Jahren bekannt ist. Das hat man zum Beispiel im Berlin des 19. Jahrhunderts genutzt, wenn man die großen Wände der Mietskasernen sieht. Die haben genau so gearbeitet, indem sie die Wärme gespeichert haben und auch wieder an den Raum abgeben konnten.
Wie hat sich in den vergangenen Jahren das Bauen mit Ziegeln verändert? Ist die Experimentierfreude ausgeprägter? Werden Faktoren wie Unterhaltungs- und Instandhaltungskosten bei Neubauten ausreichend bedacht?
Martin Weischer: Wir sind eine der ersten Hochschulen gewesen, die ein Lehrgebiet für Lebenszyklusmanagement eingerichtet hat. Wir beschäftigen uns auch in der Architektenausbildung stark mit der Frage der Folgekosten von Gebäuden. Da hat eine Ziegelfassade Vorteile gegenüber einer Putzfassade, weil sie nicht so pflegeintensiv ist. In Wettbewerben sehen wir gerade hier im Norden der Republik in den Preisgerichten enorm viele Ziegelbauten. Auch wenn Sie durch die Stadt gehen und Neubauten sehen, sehen Sie sehr viele Ziegelbauten. Der Ziegel ist ein Material, das immer präsent war und jetzt auch wieder mit verschiedenen Moden zusammengeführt wird. Der Ziegel wird immer Berechtigung finden.
Es gibt unterschiedliche Herangehensweisen ans Thema Kosten. Eins ist klar: Die Instandhaltungsfreundlichkeit des Ziegels ist gegeben. Wenn ich eine verputzte Fassade habe, werde ich immer wieder neu anstreichen müssen. Das muss ich bei einer verblendeten Fassade nicht machen. Dafür habe ich etwas größere Entstehungskosten am Anfang. Aber es gibt Berechnungen, was die sinnvollste Lösung für ein bestimmtes Projekt ist. Es hat ja auch immer etwas zu tun mit dem Verhältnis von geschlossenen, opaken und opalen Flächen in einer Fassade. Was für ein Tragsystem steckt dahinter? Es ist eine komplexere Betrachtungsweise. Pauschal kann man das nicht beantworten.
Offenbar wird qualitätsvolles Bauen trotz mitunter schmaler Budgets vor allem im öffentlichen Raum verstärkt eingefordert. Findet das beim Deutschen Ziegelpreis seinen Niederschlag?
Anna Vogt: Es ist sehr eindrucksvoll mit Ziegeln gearbeitet worden. Es ist ein Material, bei dem sich mit einfachsten Strukturen trotzdem eine Art von Identität reinbringen lässt, weil es sich abzeichnet, aber trotzdem nicht unangenehm hervorsticht. Es wirkt gleich sehr selbstverständlich und wohnlich. Man kann sich schnell darin wohlfühlen. Das haben wir auch bei SMAQ, die beim Deutschen Ziegelpreis 2021 eine Anerkennung für das Projekt „Wohnungsbau Agnes-Hundoegger-Weg“ erhalten haben. Da wurde sehr sensibel mit dem Wohnen umgegangen.
Warum eignen sich Ziegelbauten, um den sozialen Wohnungsbau voranzutreiben?
Martin Weischer: Wir reden über zwei Dinge. Zum einen ist das Thema Ziegel als Tragschale, als Dämmung, auch der Ziegel als Decke, als Sturz – also als konstruktives Element. Dann gibt es hier rund um Münster den Ziegel als Verblendung und als Fassadenmaterial. Ziegel ist aus meiner Sicht aufgrund seiner bauphysikalischen Eigenschaften ein hervorragendes Material, weil es eben raumklimatisch gute Verhältnisse schaffen kann. Er ist hier in der Region verankert und traditionell, sodass wir zum Teil auch in den Bebauungsplänen oder in Gestaltungssatzungen die Vorgabe haben, in der Fassade mit Ziegeln zu arbeiten. Ich habe im letzten Jahr ein Seminar mit dem Geschäftsführer der Münsteraner Wohnungsbaugesellschaft veranstaltet. Da sprachen wir auch über solche Materialen. Und bei ihm, der viel mit sozialem Wohnungsbau macht, spielte vor allem die Frage der Pflegeintensität der Fassade eine Rolle. Wir wissen alle, dass wir etwa 20 Prozent der Lebenszyklus-Kosten für die Erstellung des Gebäudes benötigen. 80 Prozent werden über den Lebenszyklus generiert, über den Betrieb sozusagen. Und da macht es schon einen Unterschied, ob ich viel Technik habe, ob ich viel instand halten muss, ob ich häufige Zyklen habe, in denen ich beispielsweise neu streichen muss.
Gewinnerprojekte wie das Rathaus Dorfen oder ist die Chausseestraße in Berlin sind auf den ersten Blick keine spektakulären Projekte. Was macht sie so preiswürdig?
Anna Vogt: Es geht ja in dieser Preisverleihung nicht darum, die extrovertiertesten und die herausstechendsten Gebäude im Stadtbild zu prämieren. Sondern es geht darum, einfach gutes Bauen zu prämieren. Das selbstverständlich ist, sich an den Menschen anpasst und vielleicht auch nicht unbedingt nur mit der Umwelt kommuniziert, sondern vor allem für den Menschen und Nutzer, also den Bewohner, funktioniert. Dann ist der Faktor des Auffallens nicht unbedingt der, der am ehesten heraussticht, sondern eher, wenn sich etwas zurücknimmt und ins Stadtbild einfügt.
Martin Weischer: Ich habe gerade mit einem Kollegen aus Kopenhagen, der bei uns lehrt, darüber gesprochen, was für ihn so schön ist an Münster – für ihn ist das die gediegene Langeweile der Ziegelbauten. Das hält er für einen ästhetisch hohen Wert, den er hier vorfindet und genießt. Im Städtebau gilt sicher nicht: Wer am lautesten ruft, hat recht. Sondern da sind Gebäude immer gern gesehen, die eine Bescheidenheit mitbringen und sich einfügen.
Welche Trends zeichnen sich ab? Wohin geht die Reise?
Martin Weischer: Es ist immer schwer zu sagen, wo es hingeht beim Bauen mit einem Material. Zum einen entwickeln sich Materialien weiter. Es gibt immer wieder neue Möglichkeiten, die aufgezeigt werden, Technologien, die dazukommen. Das macht der Ziegel auch, die Ziegelindustrie ist sehr innovativ. Der Vorteil des Ziegels ist: Er ist ein modularer Baustein, lässt sich zusammenfügen und wieder auseinandernehmen. Dieses Thema wird unter dem Aspekt cradle to cradle im Sinne einer durchgängigen Kreislaufwirtschaft immer wichtiger werden. Das heißt, die Verlierer werden in dem Bereich eher die sein, die Komposit-Baustoffe mit Klebstoffen zusammenbringen. Denn wir werden immer mehr darauf achten müssen: Wie stellen wir die Sachen zusammen und wie bauen wir sie wieder auseinander? Der Ziegel ist, wenn ich ihn abreiße, hinterher wieder ein Werkstoff.
Wie beurteilen Sie die Zukunft des Bauens mit monolithischen Ziegeln?
Martin Weischer: Ich persönlich halte es für sehr gut. Denn wenn wir über größere Elemente nachdenken, steckt da auch der Aspekt des Selbstbaus drin, bei dem man sich mit einbringen kann. Das ist ein Thema, das wir auch in der Ausbildung mitbetrachten. Wozu brauche ich eine Fachfirma? Und was kann ich mit den Nutzern zusammen machen? Da steckt meiner Meinung nach Potenzial drin.
Es gibt 66 Ausstellungsobjekte – haben Sie beim diesjährigen Ziegelpreis ein Lieblingsprojekt?
Anna Vogt: Wir haben uns als Studierende bewusst für SMAQ mit ihrem Projekt entschieden. Denn wir finden es richtig und wichtig, auch weniger bekannte Büros rauszusuchen.
Warum lohnt sich ein Besuch der Wanderausstellung?
Anna Vogt: Weil er den Studierenden, die jetzt wieder an den Campus kommen dürfen, Weitblick und Austausch bietet, den sie in den letzten Jahren kaum hatten. Sie sehen Ideen, die innovativ und prämiert worden sind. Das macht einfach Lust, weiterzumachen.
Martin Weischer (lacht): Gute Architekturbeispiele zu sehen, kann niemandem schaden. Wir freuen uns, dass wir die Wanderausstellung beherbergen dürfen. Denn wir suchen den Kontakt zu Verbänden. Wir machen zwar keine Auftragsarbeiten, aber wir sind eine Hochschule für Angewandte Wissenschaften und haben den Praxisbezug immer in unserer Ausbildung dabei.
Zu den Personen:
Der gebürtige Münsteraner Prof. Martin Weischer (63) führt seit drei Jahren als Dekan die MSA Münster School of Architecture, an er seit dem Jahr 2000 lehrt.
Die studentische Prodekanin Anna Vogt (23) ist seit Januar 2021 im Amt. Gebürtig aus der Nähe von Trier, studiert sie Architektur im siebten Semester und ist zuständig für die Public Relations an der MSA.

