Interview | Werkstoffwissenschaftler Tobias Bem über die Vielfalt der Tonbaustoffe
Tobias Bem ist Werkstoffwissenschaftler im Ziegelwerk Bellenberg. Im Interview berichtet er, was Glas und Keramik gemeinsam haben, welche Tonarten er für den Hintermauerziegel einsetzt und warum auch die Hülle eines Spaceshuttles aus Ton besteht.


Herr Bem, wie kamen Sie ins Ziegelwerk?
Auf Umwegen: Ich habe mit einem Mathe-Diplomstudium angefangen und dann auf Logistik umgeschwenkt. Dort hatte ich eine Vorlesung zu Werkstoffwissenschaften. Als meine Frau ein Jobangebot in der Nähe von Koblenz bekommen hat, habe ich geschaut, was man dort studieren kann, und habe mich dann für den Studiengang Werkstoffwissenschaften (Glas und Keramik) eingeschrieben. Im Westerwald, wo ich in der Zeit gewohnt habe, gibt es gute Tonvorkommen. Ich habe dann ein Praktikum bei einem Rohstofflieferanten gemacht und während des Studiums dort weitergearbeitet. Und ich hatte einen guten Professor, der mein Interesse an der Grobkeramik geweckt hat.
Was macht ein Werkstoffwissenschaftler?
Im Studium lernt man vor allem unterschiedliche Analyseverfahren: Was für einen Rohstoff habe ich? Welche Korngröße hat er? Wie ist die mineralogische Zusammensetzung? Neben Grundlagen in Wirtschaftswissenschaften wirft man auch einen Blick in die einzelnen Fachbereiche: Grobkeramik, Feinkeramik und technische Keramik, die in der Halbleiterindustrie benötigt wird. Das deckt relativ viel ab und man kann viel damit machen, sogar in die Autoindustrie oder zur NASA gehen. Die Hülle des Spaceshuttles ist aus Keramik, da sie wahnsinnig hohen Temperaturen standhalten muss. Bei vielen gepanzerten Fahrzeugen kommt durchsichtige Keramik zum Einsatz, da es härter als Glas ist.
Der Studiengang heißt vollständig „Werkstoffwissenschaften für Glas und Keramik“ – was haben die beiden gemeinsam?
Der Grundstoff von Ton ist Siliziumdioxid – und Glas ist reines Siliziumdioxid. Auch Keramik kann während dem Brennprozess in eine Glasphase übergehen, je nach Temperatur und Tonzusammensetzung.


Was ist Ihre Zuständigkeit im Ziegelwerk?
Meine erste Station nach dem Studium war ein Klinkerwerk, bevor ich in die Hintermauerziegelindustrie gekommen bin. Beim Klinker kommt es eher auf die Farbgebung an, beim Hintermauerziegel sind es die technischen Komponenten, die wichtiger sind. Um die jeweiligen Produkteigenschaften zu erreichen, braucht es jeweils eine bestimmte Mischung von Tonsorten. Es gibt je nach Lagerstätte unterschiedliche Tonarten mit unterschiedlicher mineralogischer Zusammensetzung. Diese sind wie einzelne Puzzleteilchen, aus denen ich wählen kann, wie viele Bestandteile von welchem Material zum Einsatz kommen. Wir setzen bei uns neun bis zehn verschiedene Tone ein. Jeder Ton erfüllt dabei eine bestimmte Rolle: Der eine senkt die Scherbenrohdichte und verringert so die Wärmeleitfähigkeit. Ein anderer hat einen hohen Anteil an Aluminiumdioxid, das für eine bessere Tragfähigkeit sorgt und den Bau hoher Häuser erlaubt. Wieder ein anderer, mit einem hohen Anteil an Eisenoxid, macht eine rötliche Färbung. Dann haben wir auch noch externe Tone, zum Beispiel aus der Stuttgart-21-Baustelle, die wir auch in unsere Rezeptur einbauen können.
Sind Sie im Ziegelwerk also der Koch, der die Rezeptur bestimmt?
So kann man das sagen, ja. Ich verwende seit etwa drei Jahren eine relativ konstante Mischung mit nur minimalen Anpassungen.
Woher wissen Sie, welche Eigenschaften welcher Ton hat?
Das sogenannte Winklerdreieck teilt Ton nach der Korngröße ein. Damit kann man recht schnell sagen, ob der Ton eher für Dachziegel, Porzellan oder Hintermauerziegel geeignet ist.
Das ist aber nur eine grobe Einordnung. Für die genaue Bestimmung baue ich jedes Jahr eine Jahreshalde auf und lasse Querschnittsproben entnehmen. Daraus kriege ich eine detaillierte Analyse mit Rohdichte, Schwindung, Druckfestigkeit, Korngrößenverteilung und mineralogischer Zusammensetzung. Wir haben ein Partnerunternehmen, das diese keramischen Analysen macht: Deren Labor ist mit einer Miniaturstrangpresse ausgerüstet, die kleine Testziegel herstellen kann. Die gucke ich mir gemeinsam mit der genauen mineralogischen Zusammensetzung an. Für die unterschiedlichen Ziegelformate brauche ich dann unterschiedliche Mixturen.
Welche Ziegel-Formate haben eigene Ton-Rezepturen?
Erstmal gibt es die Wandziegel: Bei Außenwänden liegt der Fokus auf der Wärmedämmung, die haben also eine andere Mixtur als Innenwände, die eher schalldämmend und tragfähig sein müssen. Daneben gibt es eine Vielfalt an Fertigteilen: Rollladenkästen, Deckenwandschalen und natürlich Dachziegel. Der größte Unterschied ist hier die Porosität: Hintermauerziegel werden durch die Zugabe von Porosierungsstoffen wie Sägespäne, Papierfaser oder Styropor extra porös gemacht, damit sie besser isolieren. Der Dachziegel muss natürlich wasserabweisend sein und der Witterung standhalten. Ähnlich wie Klinker wird der Dachziegel dazu bei 1050 bis 1200°C gebrannt – der Hintermauerziegel nur bei 880 bis 930°C.


Ton als Baustoff ist mehrere Jahrtausende alt – was glauben Sie: Wie sieht seine Zukunft aus?
Was meinen Beruf so spannend macht: Es ist nicht nur bloße Anwendung, sondern Weiterentwicklung! Die Industrie hat sich immer weiterentwickelt und muss sich stets neuen Gegebenheiten anpassen. Gerade auf der keramischen Seite gibt es einige Punkte, die noch erforscht werden können. Und die Ziegler sind eine Industrie, die nicht schläft. Da gibt es sehr viele kreative Menschen, die immer weiterdenken und Neues ausprobieren. Da gehört mein Chef zum Glück dazu. Deswegen begleiten wir industriell einige Forschungsprojekte: Die ersten Versuche finden im Labor statt und wir setzen sie im Werk um, auch wenn es erstmal nur ein bis zwei Ofenwagen neben dem normalen Betrieb sind. Zum Beispiel experimentieren wir gerade damit, wie man die Brenntemperatur senken kann, um weniger Gas zu benötigen. Der Brennprozess ist immer energieintensiv, da hier eine mineralogische Phasenumwandlung stattfindet. Ton hat aber auch den Vorteil, dass er auch schon im getrockneten Zustand feste Eigenschaften hat. Der Nachteil ist allerdings, dass er nicht nass werden darf. Die Energie zum Brennen muss nicht aus Erdgas kommen, sie kann auch elektrisch oder mit Wasserstoff erzeugt werden.
Sie sagten, Ton begegnet einem auch im Spaceshuttle oder im Auto. Welche Rolle spielt Ton abseits der Arbeit in Ihrem Alltag?
Zum Beispiel beim Basteln mit den Kindern. Vor einiger Zeit hat die Klassenlehrerin meiner Kinder gefragt, wessen Eltern eine besondere Aktivität anbieten können. Da habe ich gesagt, dass ich mit ihnen töpfern kann. Dafür haben wir hell brennenden Ton aus unserer Grube genommen und die Werke in unseren Öfen gebrannt. Aber eigentlich ist jeder, der eine Blumenvase, Teller oder Tassen hat, von Ton umgeben. In unserer Zahnpasta sind kleine Tonpartikel, Kaolin in dem Fall. Das Haus, in dem man wohnt, ist aus Ton. Die Pflastersteine, auf denen wir laufen. Es gibt eigentlich keinen Menschen auf der Welt, der noch nicht mit Ton in Berührung gekommen ist. Er ist überall.
